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Sueddeutsche Zeitung:
Die Fugees wieder auf TourSex und ServiceorientierungSie sind einfach Hip-Hop-Dienstleister: Die „Fugees“ feiern in Hamburg Wiedervereinigung – mit einem kundenfreundlichen Auftritt.
Von DIRK PEITZ
Lauryn Hill, ganz wie Tina Turner 1977, bei einer pseudospontanen Einlage.
Foto: dpa
Man muss Popmusik auch mal nutzwertorientiert betrachten. Und nicht immer nur mit jener Sorte Emphase, der es immer allein um Intensitätserfahrungen geht. Stattdessen könnte man zum Beispiel gerade im Moment mal in ein Unterhaltungselektronik-Fachgeschäft gehen und sich die Leute in der CD-Abteilung angucken. Das ist die schweigende Mehrheit, die nur einmal im Jahr dorthingeht, mit schlechtem Gewissen nach einem überraschungsfreien Geschenk schaut und am Ende mit vier CDs nach Hause geht, eine für Mama, Papa, Kind, dazu für sich selbst noch eine Hit-Compilation, einen runtergesetzten Klassiker und die neue Madonna.
Diese Leute kaufen da doch keine Intensität. Sondern bloß etwas, um die Stille zuhause zu übertönen, etwas, das ihren Alltag ein bisschen bunter macht, das die wesentlichen innerhäuslichen Freizeitbeschäftigungen ihres modernen Menschseins musikalisch untermalt. Die da wären: Entspannen, Traurigsein, Sex.
Die Fugees, eine dreiköpfige Hip-Hop-Truppe, hat sich mit einem einzigen Lied größte Verdienste um die Befriedigung derlei hochanständiger Bedürfnisse erworben. Das Lied hieß „Killing Me Softly“, war eine Roberta-Flack-Coverversion, und zu diesem Wohnzimmer-Soundtrack dürften, per Repeat-Taste in Dauerschleife abgespielt, mehr Kissen zerwühlt, tränenbenetzt und beschnarcht worden sein als zu irgendeiner anderen Platte in den neunziger Jahren.
Der Rest von „The Score“, dem zigmillionenfach verkauften Album von 1996, war nämlich nicht ganz so aufregend – da gab es zumindest für popbürgerliche Haushalte nutzdienlichere und zugleich bedeutungsintensivere atmosphärische Platten, „Moon Safari“ von Air, „Dummy“ von Portishead, „Older“ von George Michael oder „Old Nobody“ von Blumfeld zum Beispiel. Aber die Fugees waren ja nicht fürs Bedeutungsintensive erfunden worden, sondern als Nachlassverwalter von Native-Tongue-Gruppen wie De La Soul und A Tribe Called Quest, die einst mit ihrem politischen Bewusstsein vom besser klingenden, bösen Hip-Hop-Gangstertum verdrängt worden waren.
Nach „The Score“ aber teilten sich die Fugees in drei Solokarrieren auf, die bei Wyclef Jean und Lauryn Hill sehr, bei Pras Michel ein bisschen erfolgreich verliefen. Es gab die üblichen Gerüchte um Wiedervereinigungen und endgültige Zerwürfnisse, und das ging so lange hin und her, bis man die Fugees als Gruppe längst vergessen hatte. Weil zudem die Soloplatten ohnehin ungefähr so klangen wie „The Score“, bei Wyclef nur noch mehr nach Reggae und bei Lauryn Hill nur noch mehr nach klassischem Rhythm & Blues. Außerdem war der moderne Produzenten-Hip-Hop längst über den Soundstandard der Fugees hinweg.
Nun also ein Abend in der Hamburger Color Line Arena, einer dieser zeitgenössischen Massenbespaßungshallen am Stadtrand, wo man fünfzig Euro zahlt, um gutklimatisiert bitte nicht zu sehr aufgeregt zu werden. Also im Grunde das Eventanlagen-Äquivalent zur CD-Abteilung, nur dass man hier auch noch Essen und Trinken kaufen kann. Wahnsinnig angenehm. Die auf völlig unspektakuläre Weise plötzlich wiedervereinigten Fugees spielten hier ihr erstes Deutschlandkonzert, für Anfang des neuen Jahres ist ein neues Album angekündigt. Aber erst mal sagt um halb neun ein Ansager, dass sich das Konzert noch ein bisschen verzögere. Da buhen die Leute aber vielleicht! Warten steht in so einer Halle wie der Color Line Arena nicht im Vertrag, hier setzt man voraus, dass die Dienstleistungsmentalität der Bühnenakteure der zuvorkommenden Art des Servicepersonals draußen an den Fressbuden entspricht. Warten auf Popbands, das war früher mal. Also raus, noch ein Pils und eine Zigarette im saubergefegten Wandelgang rund um die Arena, Rauchen ist ja drinnen verboten, auch wenn sich keiner dran hält, soviel ziviler Ungehorsam muss schon sein.
Um kurz nach neun bollert es plötzlich in der Halle, aber das ist nur der Bühnen-DJ, der Vorvorvorjahres-Hip-Hop auflegt. Auch Hip-Hop ist jetzt schon nostalgiefähig. Nach zwanzig Minuten macht der DJ ernst und mixt auf einmal mit allen Körperteilen und in ziemlich heftiger Geschwindigkeit, es ist großer Sport.
Und schließlich steht Wyclef Jean da, behauptet, die Hamburger Polizei habe ihn aufgehalten, weil der Wyclef das Marihuana so mag, dann schüttet er sich eine Flasche Wasser über den Kopf, johlt ins Mikro, dass er ja ein verrückter Kerl sei, fordert George W. Bush zum Rückzug der Truppen aus dem Irak auf und singt ansonsten erst mal Bob Marleys „No Woman, No Cry“. Es dauert ein paar Lieder, dann sind neben der Backing Band auch Pras und Lauryn auf der Bühne, wobei zunächst einmal vor allem eines auffällt: Während bei Wyclef und Pras die Haare ab sind, trägt Lauryn jetzt einen Monsterafro. Auch sonst sieht sie mit ihrem Pelzjöppchen und ihrer wibbeligen Tanzerei aus wie Tina Turner um 1977.
Das Konzert hingegen schleppt sich eher so dahin. Zum Soundbrei aus den Boxen schreien sich die Fugees zunächst durch die schnelleren Sachen ihres ja nur zwei Alben umfassenden Backkatalogs, dann darf jeder mal einen Solohit bringen, Wyclef sein „911“, Pras sein „Ghetto Supastar“, Lauryn später bei einer der insgesamt vier, allerdings sehr pseudo-spontanen Zugaben ihr „Doo Wop (That Thang)“. Wyclef zeigt vorher noch, dass er Salto mit Auf-den-Rücken-Fallen kann, kippt sich eine weitere Flasche Wasser über den Kopf und lässt sich am Ende auf den Schultern eines Bodyguards durch die Menge tragen. Kurz nach elf ist alles vorbei, und man weiß nicht genau, was man da eigentlich gesehen hat.
Zum Schluss immerhin jubeln die Leute endlich, nachdem sie zwischendrin nicht so irre enthusiasmiert waren, aber was sollen sie auch tun, sie haben schließlich für den Spaß hier bezahlt. Auf dem Rückweg läuft dann auf dem iPod „Kommst Du mit in den Alltag?“ von Blumfeld, und bevor man ganz entspannt und ein bisschen traurig einnickt, kommt der Gedanke: gerne, eigentlich. Wenn das im Leben nur so einfach wäre wie in der Popmusik.
SZ v. 08.12.2005